Ökologische Ziele in der Produktentwicklung

In allen Projekten, in denen Menschen sich zusammentun, haben diese Menschen bestimmte Ziele. Das ist auch in der Produktentwicklung der Fall, in denen z.B. ein Team, Kund:innen, User:innen und andere Stakeholder zusammenkommen.

Wenn wir davon ausgehen, dass jede dieser Personen ihre Realität individuell konstruiert (siehe Konstruktivismus), erscheint es logisch, dass auch Ziele nicht identisch sind. Daher lohnt es sich, wenn es darum geht, mit anderen Menschen erfolgreich ein Produkt zu entwickeln, die Ziele einmal zu besprechen und zu prüfen. So kann einerseits sichergestellt werden, dass eine ausreichende Einigkeit über ein Ziel besteht. Andererseits wird geprüft und systematisch hinterfragt, ob die definierten Ziele sinnvoll formuliert und erfolgsversprechend sind.

Anhand des Modells PABSBRAGÖR werden Ziele und Vorhaben systematisch hinterfragt. Das Modell der SMARTen Ziele ist bekannt. SMART ist dabei eine als Akronym eine Hilfestellung bei der Formulierung von Zielen und steht für:

  • S – Spezifisch
  • M – Messbar
  • A – Attraktiv
  • R – Realistisch
  • T – Terminiert

Hilfswort PABSBRAGÖR steht – ähnlich wie SMART – für wohlgeformte und gut formulierte Ziele.

Das (zugegebenermaßen etwas umständliche) Akronym setzt sich folgendermaßen zusammen:

  • P – Positiv formuliert

Ziele sollten positiv formuliert sein, denn das Unbewusste kennt keine Verneinung. Je klarer wir uns ein positives Bild vom Ziel machen können, desto stärker tragen alle inneren Anteile dazu bei, das Ziel zu erreichen. Wenn wir uns das Ziel positiv vorstellen und den Zielzustand bereits erleben, wirkt dies wie eine Suggestion und wir streben bewusst und unbewusst auf dieses Ziel zu.

  • AB – aktiv beteiligt

Ziele müssen durch eigene aktive Bemühungen erreicht werden können. Wir selbst müssen Einfluss darauf haben. Anderenfalls erleben wir Abhängigkeitsgefühle und Frustration.

  • S – spezifisch

Was genau soll erreicht werden, WER ist beteiligt, WIE wird es dann genau sein, welche Rahmenbedingungen… das genaue Zielerreichungs-Szenario wird beschrieben.

  • B – Beweis

Klarer Maßstab, Woran genau wird man bemerken, dass das Ziel erreicht wurde.

  • R – Ressourcen

Welche Ressourcen werden benötigt (Fähigkeiten, Technologien…) Was steht davon schon zur Verfügung und was muss noch erlangt werden? Mit welchen Hindernissen muss das Team noch umgehen?

  • AG – angemessene Größe

Das Ziel muss angemessen groß sein, also groß genug, damit es attraktiv ist und nicht zu groß, damit es noch erreichbar ist – dies ist wichtig für die Motivation aller Beteiligten.

  • ÖR – ökologischer Rahmen

Das Ziel soll zu allem passen, was noch angestrebt wird (vom Team, dem Unternehmen, den einzelnen Mitarbeitenden). Welche Einwände gibt es gegen das Ziel? Welche relevanten Personen könnten etwas dagegen haben? Wie steht das Team dazu? Unterstützt das Ziel die Unternehmensziele?

Diese sieben Punkte dienen dazu, Ziele auf „Wohlgeformtheit“ zu prüfen und Zielklarheit zu entwickeln (O’Connor, 2015). Falls nötig, können Formulierungen optimiert werden. Dies kann als Mini-Workshop mit dem Team durchgeführt werden. Der Vorteil ist, dass jede Person unterschiedliche Aspekte eines Themas sieht und einbringen kann. Auch im Einzelsetting ist es sinnvoll, sich diese Fragen zu stellen.  

Spezielle Bedeutung kommt hier der „Ökologie“ von Zielen zu. Dieses Konzept stammt aus der neurolinguistischen Prozessarbeit (NLP), welche viele Parallelen zu systemischen Konzepten und teilweise dieselben Ursprünge hat. NLP ist eine Form von Coaching basierend auf den Praktiken berühmter Psychotherapeuten wie dem Vater der Hypnotherapie Milton Ericsson oder der Begründerin der Familientherapie Virginia Satir (Schlippe & Schweitzer, 2016). „Ökologisch“ ist ein Ziel dann, wenn ihm keine (unklaren, impliziten) anderen Ziele entgegenstehen. Anders ausgedrückt: Ein Ziel ist ökologisch, wenn das Erreichen des Ziels keinen „Schaden“ an anderer Stelle anrichtet. Wenn es konkurrierende (verdeckte) Ziele gibt, kann schwer werden, das „offizielle“ Ziel zu erreichen. Unter Umständen ist dabei keinem der beteiligten Personen klar, warum etwas „einfach nicht funktioniert“.

Beispiel: Ein Team hat sich im Zuge einer agilen Transformation das Ziel gesetzt, Wissen zu verteilen und „Wissenssilos“ abzubauen. Ein erfahrener Mitarbeiter sieht in seinem Produktwissen-Silo für sich persönlich eine wichtige Ressource. Das Gefühl, unverzichtbar zu sein, beruhigt in. Er möchte diesen Vorteil nicht aufgeben.

  • Offizielles Ziel: Wissenssilo auflösen
  • Verdecktes Ziel: Wissenssilo erhalten

Wenn dieser Ziel-Konflikt nicht zunächst adressiert wird, können die Bemühungen, dieses Wissenssilo abzubauen, zäh und frustrierend werden.

Übung/Workshop-Format: PABSBRAGÖR und Öko-Check für Ziele

Diese Übung dient dazu, Produktziele, Teamziele und alle anderen Ziele zu prüfen und zu optimieren. Sie eignet für jeden Zeitpunkt in der Product Discovery und kann beispielsweise die 4 Fragen der Product Discovery ergänzen (siehe Übung: 4 Fragen zur Discovery). Sie kann mit dem Team, im Gespräch mit Kund:innen oder auch als Einzelreflexion durchgeführt werden.

Ablauf:

  1. Formuliert euer Ziel und notiert diese Formulierung, so dass alle sie sehen
  2. Prüft nun diese Formulierung mit den folgenden Fragen und ändert die Formulierung, falls nötig:
    1. Ist das Ziel positiv formuliert?
    2. Sind die anwesenden Personen aktiv beteiligt?
    3. Ist das Ziel spezifisch beschrieben?
    4. Was ist der Beweis dafür, dass wir das Ziel erreicht wurde?
    5. Welche Ressourcen werden benötigt? Welche Hindernisse gilt es noch auszuräumen?
    6. Ist das Ziel angemessen groß?
    7. Ist das Ziel ökologisch? Der gegenwärtige Zustand erfüllt eine Funktion, denn jedes Verhalten erfüllt eine „positive Absicht“. Welche Funktion erfüllt der gegenwärtige Zustand (für Team, Vorgesetzte, Stakeholder, Sponsoren, andere Abteilungen/Teams, Kund:innen, User:innen…) und hat irgendjemand einen Nachteil, wenn das Ziel erreicht wird und sich somit der gegenwärtige Zustand ändert?

Schreibe einen Kommentar