Integrale Perspektiven in der Produktentwicklung

An Produktentwicklung sind oft viele Menschen beteiligt. Es sind einzelne Individuen mit eigenen Ansichten, Gedanken und einer Tagesform. Gemeinsam formen diese Menschen ein System: ein Team, ein Unternehmen und darüber hinaus Systeme mit Partner:innen, Kund:innen und anderen externen Stakeholder:innen. Es entstehen Dynamiken und Kulturen. Es gibt Rollen sowie offizielle und inoffizielle Hierarchien. Es kommt zu offenen und verdeckten Konflikten. Es kann versteckte Ziele geben, die unter dem Radar mit dem offiziellen Ziel konkurrieren. Ein lineares Denken in „Ursache-Wirkung“ erscheint angesichts dieser vielen Aspekte zu einfach. Probleme lassen sich so nicht sinnvoll adressieren. Wenn ein Produkt-Team immer wieder die Erwartungen der Vertriebs-Abteilung enttäuscht, dann gibt es dafür wahrscheinlich nicht die eine einfache Ursache, sondern im System führen verschiedene Dynamiken zu diesem Erleben der Vertriebs-Kolleg:innen.

In den 1960er Jahren wurde in der Forschung rund um systemische Beratung und Therapie in Palo Alto (interessanterweise auch ein wichtiger Ort für die Softwareindustrie) der Gedanke an lineare Zusammenhänge in Systemen verworfen. Das passte zu Erkenntnissen in anderen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Physik. In der Synergetik (Lehre vom Zusammenwirken von Elementen in einem System) und Chaostheorie wurde erkannt: Systeme können aus sich heraus nicht vorhersagbare Veränderungen durchlaufen. Dabei können zufällige kleinste Vorkommnisse eine große Wirkung haben, wie der berühmte Schmetterlingseffekt beschreibt. Veränderungen in Systemen wurden erkannt als selbstorganisiert, nicht vorhersehbar und nicht planbar. Einfache Kausalitäten im Sinne von Ursache-Wirkung waren nicht haltbar. Systeme sind nicht gleichbleibend, sondern in ständiger Veränderung. (Schlippe & Schweitzer, 2016).

Wenn wir die Arbeit in einem Team betrachten wollen, aus welcher Perspektive sollten wir es betrachten? Wo sollen wir ansetzen? Sollen wir versuchen, das komplexe System und alle seine Aspekte darzustellen, wie wir es sehen? In einem Produkt-Team gehören dazu einzelne Personen, das Team als Ganzes, die Rollen der Teammitglieder aus Unternehmenssicht, Personen außerhalb des Teams, Prozesse und Best Practices, Regeln, Launen, Technologien und vieles mehr. Außerdem haben wir gelernt, dass sich das System ständig verändert. Folgende Abbildung wirkt unübersichtlich und ist noch immer stark vereinfacht. Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?

Wir wollen die Produktentwicklung verbessern und unsere Probleme lösen. Doch wo sollen wir ansetzen? Wir stehen vor einem Dilemma:

  1. Zu wenig Perspektiven: Ursache-Wirkung ist zu einfach und wird unserer Welt nicht gerecht. Wir kommen schnell ins Handeln, aber sind unsere Bemühungen überhaupt hilfreich?
  2. Zu viele Perspektiven: Selbst, wenn wir alles (aus unserer Sicht) Relevante abbilden, ist das zu komplex, um gezielt anzusetzen. Wir haben zu viele Perspektiven und müssen nun „raten“ welche am wichtigsten ist. Und die wichtigen Kleinigkeiten haben wir vielleicht trotzdem übersehen.

Wir brauchen eine Übersicht: Was ist wichtig, wenn wir das Team und dessen Kontext betrachten? Was müssen wir in welchem Ausmaß berücksichtigen, damit Probleme ganzheitlich und nachhaltig adressiert werden können.

Wir möchten beispielsweise nicht unsere Prozesse beschleunigen, ohne auf die Mitarbeitenden und ihre innere Welt zu achten. Wir möchten nicht permanent an unserer Teamkultur arbeiten und dabei einen notwendigen Sprung auf eine neue Technologie verpassen.

Gleichzeitig sollte dieses Denkmodell handhabbar und nicht zu komplex sein. Die integrale Theorie nach dem US-amerikanischen Philosophen Ken Wilber zeigt ein ganzheitliches Denkmodell auf (Wilber, 2014). Dieses Modell wurde vom deutschen Unternehmensberater Rolf Lutterbeck für den Business-Kontext angepasst (Lutterbeck, 2010) und für diese Ausbildung für Produkt-Teams formuliert.

Dabei stehen die vier Quadranten als Perspektiven im Vordergrund. Wir unterscheiden dabei

  • das Team (System)
  • das einzelnen Teammitglied (Individuum)
  • die Innensicht
  • die Außensicht

Wir möchten das Team mit seinem Innenleben (Kultur) und von außen (Prozesse) betrachten. Genauso möchten wir die einzelnen Teammitglieder betrachten, ihre Skills (Außen) genauso wie ihre mentalen Aspekte wie Einstellungen und Motivation (Innen).

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Mandy Wendt

    Das ist ein sehr wertvoller Blog-Beitrag! Die Teamaufstellung finde ich sehr interessant! Dadurch habe ich jetzt sogar Anregungen für meine praktische Umsetzung erhalten! Vielen Dank!

    1. Elisabeth Tieben

      Danke Mandy für dein tolles Feedback. Es freut mich sehr, dass dir das Format gefällt!

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