Bevorzugte Sinneskanäle identifizieren

Der Konstruktivismus lehrt uns, dass jeder Mensch die Welt auf einzigartige Weise erlebt und seine eigene Realität konstruiert. Somit können wir nicht automatisch dasselbe Verständnis von einer Sache habe. Nichts ist „selbstverständlich“. Tatsächlich kann man sagen, Verstehen ist die Ausnahme, Missverständnisse sind die Regel. Annahmen und Hypothesen über die Welt sollten als solche behandelt werden – nicht als feststehende Realität, die für alle gilt.

Es wird noch komplexer, wenn wir das Thema der Reiz-Aufnahme über die 5 Sinneskanäle (VAKOG) einmal näher betrachten. Hier lauert eine weitere Variable, denn Menschen bevorzugen unterschiedliche Repräsentationssysteme (Sinneskanal). Einige legen Fokus auf das, was sie sehen, andere auf das, was sie hören oder auf das, was sie „greifen“ können. Menschen, die sich oft missverstehen, bevorzugen möglicherweise unterschiedliche Repräsentationssysteme.

Es hilft ungemein, bei Interviews zu erkennen, welches Repräsentationssystem für eine Kundin/einen Kunden wichtig ist. Wenn eine App sehr minimalistische visuelle Elemente enthält, könnte eine auditiv veranlagte Person den Text vermissen.

Die meisten Menschen sind visuell veranlagt, oft mit einem zusätzlichen kinästhetischen Anteil. Sie legen Wert auf optische Darstellungen. Ein anderer Anteil ist eher auditiv veranlagt. Für sie ist es wichtig, die Dinge mit sich und anderen zu besprechen. Sie sprechen lieber über ein Thema, als sich schöne Grafiken anzuschauen. Diese beiden Typen denken unterschiedlich und nehmen die Welt unterschiedlich wahr. Meist bevorzugen Menschen ohne es selbst zu wissen, einen oder mehrere dieser Kanäle und haben den Eindruck, so sei es eben „normal“ und alle anderen erleben die Welt genauso.

Es ist hilfreich, dies zu wissen und es in die Interpretation eines Interviews oder Gesprächs mit einzubeziehen und auch bei der Bereitstellung von Informationen zu berücksichtigen. Ist es sinnvoll für eine auditiv veranlagte Vorgesetzte aufwändige Charts und Grafiken auszuarbeiten? Vielleicht möchte sie lieber eine telefonische Rückmeldung erhalten.

Wie können wir merken, dass jemand visuell oder auditiv veranlagt ist? Es gibt mehrere mögliche Hinweise. Die Worte, die von einer Person verwendet werden, geben Hinweise auf das bevorzugte Repräsentationssystem.

Beispiele:

„Ich höre, was Sie sagen, aber ich kann mir keinen Reim darauf machen.“ à auditiv

„Ich kann das nicht greifen, es zerrinnt mir zwischen den Fingern.“ à kinästhetisch

„Ich sehe den Punkt, aber ich blicke es noch nicht.“ à visuell

Wenn jemand hauptsächlich Wörter mit dem Thema „sehen“ verwendet, dann ist das ein Hinweis darauf, dass diese Person den Fokus auf das visuelle Erleben setzt.

Übung: Bevorzugte Sinneskanäle über Sprache identifizieren

In dieser Übung geht es darum, über die Wortwahl einer Person Hypothesen über die bevorzugten Repräsentationssysteme dieser Person aufzustellen.

  • Üben in 3er Gruppen
  • Übungs-Szenario: Interview mit Kund:in/User:in über ein geplantes Feature
  • Rollen: A = Interviewer:in, B=Kund:in bzw. User:in, C=Beobachter:in

A sollte während des Interviews offene Fragen stellen, so dass bei B Denkprozesse angeregt werden. Das Interview kann kurz sein, etwa 5 bis 10 Minuten. C kann sich Notizen machen. Nach dem Interview sollte noch ca. 5 Minuten gemeinsam besprochen werden, was beobachtet wurde. Stellt Hypothesen darüber auf, welche Sinneskanäle die beiden Gesprächspartner bevorzugen. Was kann A für sich daraus ableiten?

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